Travel-Life
Iglhaut-Sprinter 4x4 Campmobil
'Nach der Reise ist vor der Reise'. Der Renault-Camper hatte die Strapazen erstaunlich gut überlebt, und wir verkauften ihn in Chile und kehrten 1998 nach Deutschland zurück. Um ein wenig zu verschnaufen, viel im Beruf zu arbeiten und nebenher mit Hochdruck eine neue Südamerikarunde zu planen. Für die wir unbedingt ein Allradmobil benutzen wollten. Auf dem Markt der Nullerjahre ein zu unseren Erfahrungen und Reisegewohnheiten passendes Campmobil zu finden, war nicht leicht. Diese Schwierigkeit reizte uns jedoch mehr, als einen unpersönlichen, fertigen Camper von der Stange zu kaufen und damit loszufahren. Schließlich fand sich die Nadel im Heuhaufen doch noch. Am anderen Ende Deutschlands bot ein Händler einen Mercedes Sprinter 308D (1995) der auslaufenden DüDo-Serie an, mit Hochdach, höher gelegt und mit 4x4 Iglhaut-Vorderachse und Verteilergetriebe. Wow, ein echter Knuffel mit Charakter. Allerdings mit dem schweren Innenausbau eines ehemaligen Umwelt-Laborwagens, dazu noch mit einem seitlichen Unfallschaden verziert. Also viel, sehr viel Arbeit.
Der Um- und Ausbau fand im Freien auf dem Gehweg hinter unserer Wohnung statt, das Garten- häuschen als Werkstatt. Die Nachbarn konnten den Fortgang der Arbeiten überblicken, kommentierten deren Qualität, trugen Ideen bei, und schlossen bei kreischenden Säge- und Flexgeräuschen gnädig die Ohren. Alles zusammen ein ganz und gar gelungenes Nachbarschaftsprojekt, das in einer fröhlichen Einweihung und Taufe der ‘Blauen Kuh’ gipfelte, und dazu stilvoll eine Sektflasche an der Trittstufe platzen durfte. Scherben fürs Glück.
Auf der Seite 'Fahren auf Pisten und Backroads' sind die unten angesprochenen Erfahrungen und Tipps rund um das Campmobil zusammengefasst.
Das Ausbaukonzept war nachdrücklich auf verlässliche Funktionalität und robuste Halt- barkeit ausgerichtet. Wir wussten, dass der Outback der Andenländer extrem hart und unerbittlich ist und Luxus nur stört. Mit Pannen ist man dort auf sich gestellt, weshalb Differenziale und Zwischengetriebe speziell geschützt wurden. Waschbecken statt Dusche, Warmwasser aus dem Teekessel, aber Autonomie mit Wasser & Proviant für min- destens 3 Wochen. Großer Bewegungsradius (1000 km) durch Einbau eines Zweittanks, zweites Ersatzrad, komplettes Werkzeug, viele Ersatzteile und Reservematerial bis hin zu einem Reserve-Ölwechsel und drei Gasflaschen für Heizung und Kochen.
Das Prinzip von Dual-Use stand bei allem Pate: Kleidung, Ausrüstung und auch Packlogistik. Ein modulares Wasser-Konzept mit mechanischen Pumpen und innenliegenden Kanistern widerstand Temperaturen bis -30 Grad. Elektrik undd Elektronik wurden minimal gehalten und auf geringen Stromverbrauch ausgelegt. Heizung mit Gas statt Diesel, denn bei Betrieb über 3000 Meter traten damals Probleme auf. Das äußere Erscheinungsbild sollte unauffällig sein. Keine Aussenlagerung von Gepäck, Kisten und Gerät. Fenster sind klein und wenige, Dachluken keine (Staub & Einbruch). Das Gesamtgewicht, komplett ausgestattet, betankt und mit 2 Personen, lag bei gut 4 Tonnen.
Viel später, im hintersten Winkel, hoch droben in Bolivien, kam die Bestätigung, wie gut unser Konzept der Unauffälligkeit funktionierte. Spät abends parkten wir unseren zugestaubten und dreckverkrusteten Camper auf dem Dorfplatz. Morgens stand draußen eine Gruppe Bolivianerinnen und warteten tuschelnd, bis die Türe aufging. Neugierig kam die Frage: “Que venden?” Was verkaufen Sie? Sie glaubten, wir wären fahrende Händler, die ab und an durchs Dorf kommen und waren sichtbar enttäuscht.
Der Sprinter-Klassiker bewährte sich. Allerdings ist das Campmobil mit einem Motor von 80 PS bei so hohem Dauergesamtgewicht untermotorisiert. Aber da Geschwindigkeit für uns sowieso kein Thema ist und wir den Asphalt gerne meiden, war diese Einschränkung kein Hindernis. Und wenn es zur Sache ging, hatten wir ja unsere Allraduntersetzung. Damit war jede Steigung zu schaffen, allerdings extrem langsam. An einem steilen Schotteraufstieg ist das kein Problem, aber im Stadtverkehr von La Paz sieht die Sache anders aus.
Dort gibt es viele Straßen mit einer Steigungen von gefühlten 20% - und dann wird es richtig lustig. Denn unsere Klassiker Iglhaut-Vorderachse besaß keinen Differenzialausgleich zwischen Vorder- und Hinter- achse, was so viel heißt, dass man mit Volleinschlag enge Haarnadelkurven auf Asphalt NICHT fahren darf. Sonst bricht nicht nur der Achsantrieb, sondern auch die Reise wird sehr lange unterbrochen. Das zwingt, in engen Kurven den Camper mit einge- schlagener Lenkung rückwärts rollen zu lassen, ein Verfahren, das im Gelände passt, aber in der Innen- stadt von La Paz zu interessanten Ereignissen führt. 'But hey, it's an adventure!'
An Ausrüstung fehlte eindeutig ein HighLift, um das Fahrzeug an der Achse anzuheben. Wenn man so richtig im Dreck steckt, sind die klassischen Heberlein alle zu vergessen. Zum Glück, das man in XXL-Portionen braucht, kam im richtigen Augenblick jemand mit einem solchen Zaubergerät vorbei. Aber als es uns in Bolivien vollständig allein erwischte, war Anheben und Unterfüttern mit vielen Steinbrocken angesagt. Die an den Differenzialen angebrachten Schutzreifen hatten wenigstens die schlimmsten Schläge abgefedert.
Wir schufteten einen ganzen Tag von Hand im privaten Pistenausbau, und hatten das Gefühl, dass die Bewohner der Osterinsel ihre Steinkolosse auf ähnlichen Weise aufgerichtet haben müssen. Unser Fehler war, dass wir einer kaum erkenn- baren LKW-Spur folgten, die uns plötzlich in ernsthafte Schwierigkeiten brachte. Umdrehen, ja! Zurück, wie? Die Bauarbeiten auf weit über 4000 Meter waren atemberaubend.
Gedanken zu den Eigenarten der Fahrzeugsicherheit in Südamerika machen sich bezahlt. Mit Verwunderung sahen wir auf der ersten Reise, dass besonders in Patagonien unzählige zerstörte Windschutzscheiben am Pistenrand lagen. Steinschlag ist DAS Thema, denn auf den Schotterpisten wird generell viel zu schnell gefahren, meist mit der Begründung, dass dadurch die Wirkung der Wellblechs der Pistenoberfläche abgemildert wird. Stimmt zwar, aber mit Folgen. Alle LKWs, die auf Geröllstrecken fahren, haben oft Hühnerei große Steine zwischen den Zwillingsreifen eingeklemmt, die bei höherer Geschwindigkeit auf Asphalt das Fahrzeug dahinter wie ein Geschoss treffen können.
Besonders die LKW-Hänger wirbeln einen Kometen- schweif schnell fliegender Steine auf, denen keine Windschutzscheibe gewachsen ist. Wenn eine verdächtige Staubfahne am Horizont auftaucht, ist langsames Fahren angesagt, oder die Flucht in den Straßengraben. Für besonders gefährdete Pisten fertigten wir ein rollbares Kevlargitter an, das die Sicht zwar einschränkte, aber wenigstens Schutz bot. Eine Windschutzscheibe für unser Fahrzeug in Südamerika besorgen zu müssen, wäre ein Alptraum gewesen. Aus gleichem Grund waren die Scheinwerfer durch Plexiglas geschützt.
Wobei der Schutz gegen fliegende Steine eine Sache ist. Auch Diebe kommen gerne zum Fenster herein. Bekannte erzählten, dass sie im Bett liegend nachts bemerkten, dass sich ein Messer quer zur Fensterdichtung rein und rausbewegte. Jemand versuchte, das Fenster herauszuschneiden. Also gut, müssen wir die Fenster halt vergittern, Zusatzschlösser und Innenriegel anbringen, wenn auch dabei der Eindruck entstand, dass der Camper sich in ein Polizeifahrzeug verwandelte. Aber die Optik war ja nicht so wichtig.
Was die Motorersatzteile anging, war die Versorgung gesichert, weil dieser Mercedes Motortyp in Argentinien und Chile gefahren wurde. Sogar das Spezialwerkzeug zum Tausch und Vernieten der Motorsteuerkette war aufzutreiben. Weniger Glück bescherte die ständig tropfende Wasserpumpe, mit der Folge, dass das mehrmalige Auswechseln der Pumpe samt Abbau der Karosseriefront und Kühlerausbau zur Routine wurde. Auch am Ufer des Titicacasee hatten wir das Vergnügen, den Zuschauern diese Show zu bieten.
Der Motor neigte zum Überhitzen. Extreme und endlos lange Steigungen gab es ja genug, und oft genug sprudelte der Kühler wie ein Geysir. Schon bald wurde das Auswechseln der Komponenten der Lüfterkupplung zur Routine. Doch erst der Gang mit dem Kühler unter dem Arm zu einer Spezial- werkstatt beendete den Spuk. Die kratzten aus dem zerlegten Kühler ein halbes Kilo Sand und Sediment heraus. Der Geysir versiegte. Schon klar: andernorts hätte man den Kühler einfach ausgewechselt. Aber an solchen Erfahrungen hängen schöne Stories.
Dass die ruppigen Pisten und das Offroading ihren Tribut fordern, war nicht verwunderlich. Selbstverständlich ist der Sprinter als Kleintransporter für europäische Straßen gebaut, nicht für den Betrieb auf einem Rütteltisch, der ständig auf Maximum lief. Nach und nach bildeten sich Risse, und Staubfahnen zogen am Fußboden unter dem Lenkrad aus größer werdenden Ritzen. Nur mit einer gut verschraubten und verklebten Ritterrüstung war dieser Materialermüdung im Motorraum beizukommen. Zwar jede Menge Schraubarbeit, aber dann war Ruhe. Wieder mehr Zeit, für die normale Wartung.
Die gnadenlosen Wellblech-Schotter-Pisten setzen den Radlagern heftig zu. An einem 4x4 Fahrzeug diese vier Lager zu wechseln, ist ein aufregender Job. Besonders das erste Mal. Aber das gehört zum Privileg, seine eigenen Fehler machen zu dürfen. Über schlechte Werkstattarbeit ist leicht fluchen! Und was ist, wenn man selbst die Bremsen zum Glühen bringt, so dass sie auf steiler Abwärtsfahrt ihren Dienst verweigern? Da war zuerst Beten und dann das sofortige Auswechseln der Beläge angebracht.
Was man im Flugzeug-Handgepäck in früheren Jahren so alles mit sich führte! Eine komlette Kupplung aus Deutschland beispielsweise, was den Zollbeamten in Uruguay besonders freute. Er erkundigte sich augenzwinkernd, was wir mit dieser “Bombe” denn wohl vorhätten. “Sie dem Mechaniker zum Einbau überreichen”; da war er zufrieden.
Unsere hochbeinige blaue Kuh fiel Bikern und anderen Technikinteressierten natürlich auf. Viel gegenseitige Anerkennung, und weil die Biker zum 'Daumen hoch' die Hand nicht so gern vom Lenker nehmen, tippen sie kurz mit der Fußspitze. But hey, it's fun to be on the road! Gute Gespräche am Rand der Piste, bei denen viel Lob und Bewunderung ausgetauscht wurde. In Argentinien sind besonders viele wunderbare Oldtimer unterwegs, echte 'Zampanos', über jeden TÜV erhaben.
Eine Werkstatt in Montevideo vermittelte das Gefühl, sie sei gerade erst aus den 50er Jahren herübergebeamt worden. Die Trommelbremsen wurden dort allerdings so perfekt belegt, geschliffen und ausgedrehte, wie es nirgendwo anders gemacht worden wäre. Gleiche Bewunderung & Lob ging an all' die Künstler, die in der Lage waren, genialen Ersatz für gebrochene Federblätter (oft passiert) aus alten Blattfedern zu zaubern.
Hohe Werkstatt-Kultur, großer Respekt!